Dieser Lost Place ist etwas ganz besonderes, weil hier auch ein Vierteljahrhundert nach Abzug der letzten sowjetischen Soldaten noch so gut wie keine Vandalen das Gelände verwüstet haben. In den Häusern gibt es noch zahlreiche unbeschädigte Fensterscheiben, obwohl natürlich eine Menge durch die Witterung zu Bruch gegangen ist. Hier sind die Gebäude in aller Ruhe verfallen - und damit es auch noch für ein paar andere Fotografen so bleibt (bis zum Abriß, der nicht mehr lange auf sich warten lassen dürfte), wird die Location nicht zu detailliert beschrieben. Nur sehr wenig Schmierereien sind zu sehen, allerdings ist leider auch nichts von den Sowjettruppen als Hinterlassenschaft aufzufinden.
Wie in jeder der über Ostern 2016 besuchten Locations findet man auch hier - seltsam, aber wahr - schwarze ausrangierte Röhrenfernseher. Das ist recht merkwürdig, weil ich darüber wirklich jedes Mal beim Betreten der Gelände oder vor einem Gebäude darauf gestoßen bin. Ich kann mir kaum vorstellen, daß die sowjetischen Soldaten damals ihre Fernseher liegengelassen haben sollten: angesichts der Mängel in ihrer Heimat hätten sie sogar defekte Fernsehgeräte mit Sicherheit ebenfalls abtransportiert.
Zur Geschichte: diese Heeresmunitionsanstalt wurde ab 1934 mitten in einem Waldareal errichtet. Das Gelände war über 330 Hektar groß. Dort wurde Munition aller Kaliber für die deutsche Wehrmacht produziert. Als Arbeitskräfte wegen der immensen Menschenverluste an allen Fronten immer knapper wurden, setzte man hier auch Frauen zur Arbeit ein. Ein großer Teil der Belegschaft waren Zwangsarbeiter / Zwangsarbeiterinnen aus fremden Ländern.
Für die sowjetischen Truppen war das Gelände ab 1945 als Munitionsfabrik nicht so wichtig, dafür aber als Munitionslager. Die mehr als 100 unterschiedlichen Bunker, eine Gleisanbindung und die recht getarnte Lage machten diese Munitionsanstalt dafür besonders geeignet. Noch immer ist auf manchen Gebäuden der zusätzliche Tarnanstrich sichtbar, obwohl die gesamte Liegenschaft schon damals von oben kaum zu erkennen gewesen sein dürfte. Mit dem Aufkommen von satellitengestützter Navigation indessen waren wohl solche Tarnmaßnahmen völlig sinnlos, weil man ab da eher nach Koordinaten als auf Sicht bombardiert hätte.
Die Flure und leeren Räume sind durch das geheimnisvolle Licht unter und zwischen den Bäumen manchmal recht unheimlich.
Etwa 30 der zahllosen Gebäude sind bereits abgerissen, und der Rückbau geht weiter. Die sogenannte Entsiegelung der Flächen dient zum Ausgleich, falls in diesem Bundesland an anderer Stelle Naturraum einem Bauvorhaben geopfert werden soll. Es stehen noch zwei Offiziershäuser, die angesichts eines Vierteljahrhunderts Verwahrlosung noch gut beieinander sind, und ein paar technische Gebäude. Weiter hinten im Gelände (den Teil habe ich nicht mehr besichtigt) stehen wohl noch ein paar kleinere Häuser. Gleisanlagen, die es hier früher gegeben hat, sind vollständig verschwunden und kaum noch sichtbar.
Nur selten finden sich Spuren von Sprayern in oder an den Häusern, dafür ist die Liegenschaft doch eine Spur zu abgelegen.
Sogar die alten hölzernen Garagentore sind noch vorhanden, allerdings arg ramponiert. Die Fenster oberhalb der Tore waren wohl zu schwer zu ersetzen. Da hat man sie einfach zugemauert - solche simplen und nicht unbedingt schönen "Lösungen" findet man bei etlichen Liegenschaften der GSSD.
In einer nahegelegenen Halle (Speisesaal oder Schulungsraum) findet sich noch eine sehr gut erhaltene Deckenkonstruktion aus Holz. Damit ist es aber vorbei, sobald sich die ersten Dachplatten gelockert haben und Wasser eindringt.
Die Unterkunftsblöcke sind Standard, sie unterscheiden sich nicht von dem, was die Wehrmacht in den 30er Jahren so gebaut hat. Am ähnlichsten hierzu sind noch die Gebäude in Sperenberg, auch wegen des "Tarnanstrichs".
Die Türknöpfe sehen zwar aus wie Drehgriffe, sind aber keine. In den Fluren besonders im Erdgeschoß finden sich oft solche Schwingtüren, die nur gegen Zugluft schützen sollten. Bemerkenswert ist, dass der Mechanismus dieser Türen auch heute noch unverändert gut und lautlos funktionierte.
Jemand versuchte die Fenster der leerstehenden Bauten mit Kunststoff-"Gardinen" zu schützen. Wahrscheinlich wollte man die Liegenschaft nicht sofort aufgeben, als die sowjetischen Truppen hier abzogen. Deswegen gab es einige Sicherungsmaßnahmen.
Es befinden sich hier so gut wie keine Möbel und Einrichtungsgegenstände mehr.
Überall in den Gebäuden gab es merkwürdige Räume und Raumaufteilungen, die zum Teil auch nachträglich eingebaut worden sind. In einem Block beispielsweise gelangte man durch einen Eingang nur ins Erdgeschoß, der andere Eingang führte bis zur Treppe und dann in die Obergeschosse. Ein "klassisches" Treppenhaus gab es hier nicht. Denkbar, dass hier zwei abgeschottete Bereiche (Geheimhaltung?) entstehen sollten.
Zwischen manchen Räumen gab es diese Durchreichen mit Klappluke. Wahrscheinlich war das eine Fernschreibstelle oder eine Vorschriften-Ausgabe, ggf. auch ein Zahlmeisterbüro.
Auch die Dachkonstruktion aus Holz war teilweise noch recht gut beieinander. Allerdings fehlten hier und da schon Ziegel - das Wasser richtet dann natürlich sogleich schwere Schäden an. Die Folge: das Dach sackt an einer Stelle ein, die Löcher vergrößern sich, die Decken darunter werden morsch ... bis das gesamte Gebäude (auch teilweise) einstürzt.
Am folgenden Bild kann man so einen beginnenden Schaden schon sehen - hier rutscht die Konstruktion des Dachfensters bereits weg.
An den Fassaden ranken sich Efeu und andere Pflanzen empor. Das war früher zur Tarnung sicher erwünscht. Heute beschleunigt der Bewuchs den Verfall, denn Wurzeln sprengen Mauerwerk mit Leichtigkeit.
In den langen Korridoren sieht man noch die "Prawda", die als Makulatur unter die eigentlichen Tapeten geklebt war. Erstaunlich, dass die Russen ihre Liegenschaften meist tapezierten: der Anstrich wäre wesentlich billiger gewesen. Im Hintergrund sieht man noch eine Verengung im Flur: das ist die Treppe, die vom Hintereingang des Gebäudes hinauf in die Obergeschosse führt (der oben erwähnte abgeschottete Bereich!).
Viele Räume lassen ihre Bestimmung nur noch ahnen. Dies müßte ein Speisesaal gewesen sein, denn nebenan sind mehrere geflieste Räume, die nach Servierküche /Essensausgabe aussehen. Eine Küche habe ich nicht entdeckt (vielleicht schon abgerissen). Küchengebäude erkennt man sehr leicht an den gefliesten großen Räumen und den Fundamenten für die Kochkessel, manchmal auch an Resten der Abluftanlagen.
Viele Bäume waren zur Nutzungszeit noch sehr klein, wie diese hier. Inzwischen, nach gut 20 Jahren Leerstand, verschwinden die kleineren Gebäude zwischen den Kiefern.
Ein weiterer Block dieses Ensembles. Es sind noch Reste der verwendeten Tarnfarbe erkennbar. Für eine richtige Tarnung hätte man aber die Dächer "bepflanzen" müssen oder Netze spannen. Diese Gebäude verraten sich auf jedem Luftbild schon durch die regelmäßigen Rechtecke im Wald.
Es gibt einige lange und neue Zäune, fast in der Art von "Wildgehegen" innerhalb des Geländes. Auch traf ich auf etliche Radfahrer, die den ruhigen Ort für eine Radtour "querfeldein" nutzten. Es gibt zahlreiche Hochsitze auf dem Gelände. Wer sich im Halbdunkel oder der Morgendämmerung dorthin wagt, sollte sich ein Blinklicht auf den Kopf schnallen, sonst könnte es der letzte Besuch gewesen sein. Für Abbrucharbeiten scheint der Zugang dauernd freigehalten zu sein. Jedenfalls konnte man an diesem Tag durch das weite Tor rein- und rausspazieren. Jenseits der Wege und im nahegelegenen See soll es noch erhebliche Munitionsbelastungen geben. Außer im unmittelbaren Umfeld von Gebäuden und Wegen würde ich dort nur ungern herumlatschen. Irgendwann tritt man doch noch mal auf eine vergessene Heeresmine ...
Hinweis: der ursprünglich im März 2016 veröffentlichte Artikel wurde verändert und mit neu bearbeiteten Bildern ausgestattet.